Politik

Assange-Prozess Trump, Lügen und der Käfig

Assange-Prozess


Julian Assange (Quelle: Simone Mayer)
GDN - Julian Assange kämpft in London gegen seine Auslieferung und damit um sein Leben. Diesen Kampf führt der Journalist aus einem Glaskäfig und ohne Möglichkeit, mit seinen Anwälten zu kommunizieren. Der erste Teil des Prozesses ist beendet.
London/Wien. Die abenteuerliche Liste der amerikanischen Vorwürfe inhaltlich vollständig widerlegt. Dennoch gibt es verständliche Zweifel an der Fairness des im Sommer zu erwartenden Entscheids.

Wie würde Julian Assange vor Gericht erscheinen? Es war der Startschuss des Auslieferungsprozesses am Woolwich Crown Court - nicht weit vom Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh entfernt, in dem der Wikileaks-Gründer inhaftiert ist, was trotz abgesessener Haftstrafe wegen Verstoßes gegen Kautionsauflagen aufgrund von “Fluchtgefahr“ noch zumindest bis Prozessende so bleiben soll. Danach wird Assange ein freier Mann sein - oder in den Händen der USA, die ihn für 175 Jahre wegsperren wollen.
Anspannung und Medieninteresse waren vor diesem 24. Februar entsprechend groß.
Lautstarke Proteste

Die Antwort: Mit Sakko, kurzen Haaren, rasiert, auffallend dünn. Und: hinter einer Glaswand. Wie ein gewalttätiger Schwerverbrecher und Terroristen, welche die Sicherheit der anderen im Gerichtssaal anwesenden Personen gefährden könnten, musste der Journalist in eine käfig-artige, kugelsichere Glasbox. Ein Umstand, der für den Australier noch zu der ohnehin schon schlechten Tonqualität der Mikrofone im Gerichtssaal und dem Lärmpegel von draußen hinzukam.
Vor dem Gerichtsgebäude protestierten die ganze Woche über mehrere Hundert gegen eine Auslieferung. Allein 140 Gelbwesten reisten aus Frankreich an, auch Unterstützer aus Österreich, Deutschland und dem Rest der Welt waren vor Ort. “Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung und verstehe, dass Aufregung und Empörung der Leute groß sein müssen, aber ich kann mich kaum konzentrieren“, merkte Assange gleich am Wochenbeginn an.

Fortan wurde draußen nur noch während Prozesspausen demonstriert. Bei einer Demo durch die Londoner Innenstadt zwei Tage vor Prozessbeginn waren es sogar über Tausend, die für die sofortige Freilassung des Wikileaks-Gründers auf die Straße gingen.
“Lügen, Lügen, Lügen“

Inhaltlich wurde von Assanges Anwaltsteam Vorwurf für Vorwurf der USA widerlegt. “Lügen, Lügen und nochmals Lügen“, so Assange-Anwalt Chris Summers über die Vorwürfe der Amerikaner. Bereits am ersten Prozesstag musste Assange eine Unwahrheit nach der anderen über sich ergehen lassen, als die US-Seite vortragen durfte.

Diese behauptete auch, Assange gefährde die nationale Sicherheit und habe aufgrund seiner Veröffentlichungen möglicherweise Menschenleben auf dem Gewissen, räumte dann aber ein, eigentlich keine Beweise dafür zu haben. Am Tag der ersten Verhandlung wurden Assange im Gefängnis elf Mal Handschellen angelegt, er wurde zweimal nackt ausgezogen und in fünf verschiedene Zellen gebracht.
Auch wurden ihm persönliche Notizen abgenommen - erklärten Assanges Anwälte.

Schon einige Wochen vor Prozessbeginn erklärten die USA, für Assange gelte das “First Amendment“, der erste Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung, der die Freiheit der Presse schützt, nicht, da er Ausländer sei. Auf der anderen Seite wurde ihm von amerikanischer Seite neben Spionage auch jahrelang Hochverrat vorgeworfen. Assanges Anwalt fragte vor Gericht zurecht, wie denn ein Journalist mit australischer Staatsbürgerschaft Verräter der Amerikaner sein könne. Bei ihrem Urteil wird Richterin Vanessa Baraitser also klar zeigen, ob sie hier mit zweierlei Maß misst.
Dabei macht es das Auslieferungsabkommen zwischen Großbritannien und den USA der Richterin eigentlich verdammt leicht. Aufgrund “politischer Vergehen“ darf nämlich in keinem Fall eine Auslieferung erfolgen. Dass beim “Fall Assange“ diese “Political Offenses“ zutreffend sind, zeigte dessen Anwalt deutlich auf.

Dies sieht sogar die Queen so, die sich in einem Brief schrieb, sie könne sich nicht in einen “politischen“ Fall wie diesen einmischen. Zudem kommt ein Begnadigungsangebot von Donald Trump, das Assange vom Ex-Abgeordneten Dana Rohrabacher übermittelt wurde. Rohrabacher stritt dies erst ab, um das Begnadigungsangebot in der Folge gegenüber Yahoo doch zu bestätigen.
Der Rockstar im Käfig

Gegen Ende der Woche wurde der Käfig, in dem der von der Weltpresse einst als Rockstar des Journalismus gefeierte Assange Platz nehmen musste, auch im Gerichtssaal selbst zum Thema. Julian Assange meldete sich dazu zu Wort, beschwerte sich über die unsäglichen Gegebenheiten. Er habe in der Box Probleme, dem Prozess akustisch folgen zu können, sei “so sehr Teilnehmer wie als Zuseher bei Wimbledon“, könne aus dieser Distanz hinter der Glaswand nicht vertraulich mit seinen Anwälten kommunizieren, ohne dass US-Seite und alle anderen im Gerichtssaal zuhören würden.
“Meine Anwälte wurden bereits ausreichend ausspioniert“, spielte Assange auf die Aktionen einer Securityfirma an, die Assange, Anwälte und andere Besucher in der ecuadorianischen Botschaft systematisch ausspionierten. In der ganzen Botschaft wurden Kameras und Mikrofone installiert. Sogar auf der Damentoilette, auf die sich der Wikileaks-Gründer aus Sorge vor eben solchen Bespitzelungsversuchen für vertrauliche Gespräche regelmäßig zurückzog, und in der Vergangenheit noch oft der Paranoia bezichtigt wurde. Mehrfach fiel die Richterin Assange im Gerichtssaal ins Wort, er solle nicht ohne Aufforderung sprechen, könne dies doch durch seine Anwälte tun. Assange: “Genau das ist hier das Problem - das kann ich nicht.“
Doch die Absurditäten waren auch damit noch nicht zu Ende: Richterin Baraitser befragte die amerikanische Seite dazu. Sogar der Anwalt der USA gestand ein, dass es mehrere andere Fälle gab, in denen der Betroffene völlig normal bei ihren Anwälten sitzen durfte und erklärte, er sei in dieser Frage neutral, hätte nichts einzuwenden, sollte Assange aus der Box gelassen werden. Dies endete tatsächlich in einer kurzen Diskussion zwischen US-Anwalt und Richterin, die nicht zustimmen wollte. Schließlich lehnte sie die Anfrage von Assange, bei seinen Anwälten und nicht in der Glasbox sitzen zu dürfen, ab.
Psychologische Folter

Julian Assange wird seit Jahren verfolgt, sitzt im Hochsicherheitsgefängnis in London, hat in Haft 15 Kilo verloren, ist Opfer jahrelanger psychologischer Folter und leidet unter Depressionen. Sein Leben ist laut Ärzten ernsthaft in Gefahr, er könne jederzeit sterben. Vor Gericht steht Assange unter Medikamenten. Die Angst um eine Auslieferung an die Staaten ist nach einer Woche Prozess größer denn je.

Unter anderem saß auch die deutsche Politikerin Sevim Dagdelen von der Linken im Gerichtssaal. Sie meint, es deute “alles auf einen Schauprozess hin.“ In den USA würde Assange für den Rest seines Lebens hinter Gitter kommen.
Und das alles, weil er Machtmissbrauch, Korruption und Kriegsverbrechen aufgedeckt hatte und die USA kritische und wahrheitsgetreue Berichterstattung nicht als Journalismus, sondern als Spionage werten.

Geht man nach diesem Prinzip vor, müssten mit Assange auch die Redakteure von New York Times, Guardian und Spiegel in ein amerikanisches Gefängnis wandern, die als einstige Kooperationspartner Dokumente gemeinsam mit Wikileaks veröffentlichten. Wird Assange ausgeliefert und verurteilt, so wäre das ein höchstgefährlicher Präzedenzfall, der sich gegen freien, investigativen Journalismus richtet.
US-Präsident Trump bezeichnet Journalisten als “Feinde der Leute“, sein Außenminister Mike Pompeo nennt Wikileaks einen “feindlichen Geheimdienst“.
Konstruierte Vorwürfe

Dazu kommt, dass der UN-Beauftragte für Folter, Nils Melzer, zuletzt auch noch die Konstruierung der Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange in Schweden (die Ermittlungen wurden eingestellt) aufdeckte. Mit ihnen kam der Stein 2010 nach brisanten Wikileaks-Veröffentlichungen ins Rollen und konnte von Assange bis heute nicht mehr aufgehalten werden.

Parallel dazu wurde sein öffentliches Bild medial über Jahre hinweg vom Freiheitskämpfer, Aufklärer und Aufdecker der Wahrheit hin zu jenem eines Vergewaltigers, Spions und Narzissten manipuliert. Der Verteufelung und Auslieferung Assanges, die quasi ein Todesurteil wäre, darf nicht einfach so zugeschaut werden.
Immer mehr Menschen und auch bekannte Persönlichkeiten wie Sigmar Gabriel, Pamela Anderson oder Vivienne Westwood, Parteien wie die SPÖ oder die deutschen Grünen und Organisationen wie Amnesty oder Reporter ohne Grenzen unterstützen Assange und fordern dessen Freilassung.

Sie setzen sich für die sofortige Freilassung des Journalisten ein. Auch in Österreich wächst die Unterstützung, in Wien finden regelmäßig Mahnwachen statt. Ob der Kampf gegen eine Auslieferung trotz aller höchst fragwürdigen Umstände gewonnen werden kann, wird sich zeigen. Im Mai folgen drei weitere Anhörungswochen. Ein Urteil soll es im Sommer geben.
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